Teilerfolg vor dem Verwaltungsgericht München: "Kreuzerlass" stellt einen Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit dar

Karikatur von Jacques Tilly, Copyright Giordano-Bruno-Stiftung
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Der Bund für Geistesfreiheit München und der Bund für Geistesfreiheit Bayern zeigen sich erfreut über den Beschluss des Verwaltungsgerichts München (VG) vom 27. Mai 2020 zum sog. "Kreuzerlass" der bayerischen Staatsregierung. Unter anderem hat das Gericht festgestellt, dass der "Kreuzerlass" einen Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit darstellt und dass dieser "gezielt darauf gerichtet (ist), jeden Behördenbesucher mit dem Kreuz zu konfrontieren." 
 
Am 5. Oktober 2018 hatten die beiden Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammen mit 25 weiteren Mitstreiterinnen und Mitstreitern Klage eingereicht. Ziel der Klage ist es, die bayerische Staatsregierung dazu zu verpflichten, den Kreuzerlass bzw. § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) zurückzunehmen. Dort heißt es: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen." Darüber hinaus geht es in der Klage darum, dem Freistaat aufzuerlegen, die angebrachten Kreuze in den über 1.100 staatlichen Dienststellen zu entfernen sowie den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen Körperschaften zu empfehlen, die Kreuze wieder abzunehmen.
Alle Klägerinnen und Kläger eint, dass sie auf Einhaltung der staatlichen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität pochen und sich durch die Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen in ihrer Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit verletzt sehen.  
 
Das VG ist am 27. Mai 2020 zu dem Beschluss gekommen, dass einer der Anträge der Klägerinnen und Kläger, nämlich § 28 AGO aufzuheben, im Wege der sog. Normenkontrollklage zu behandeln ist. Daher hat das VG diesen Teil der Klage an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) verwiesen, der in diesem Fall zuständig ist. Denn aus Sicht des VG greift § 28 AGO unmittelbar in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG ein ("Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich"). Damit widerspricht das Gericht der Auffassung des Beklagten, des Freistaats Bayern, dass es sich beim "Kreuzerlass" lediglich um eine rein behördeninterne Geschäftsordnungsregelung handle, die keine unmittelbare Außenwirkung auf die Bürgerinnen und Bürger habe, sondern stellt fest, dass § 28 AGO eine Verwaltungsvorschrift mit Außenwirkung ist und einen Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit darstellt (siehe Beschluss VG S. 8 Nr. 13, S. 11 Nr. 18-19 und S. 14 Nr. 25).
 
Assunta Tammelleo, stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München und Initiatorin der Klage, sieht sich durch das VG bestätigt: "Alle Klägerinnen und Kläger müssen in ihrem Leben eine Behörde aufsuchen oder werden gar dort hingebracht – z. B. von der Polizei oder einem Rettungsdienst. Von der Geburtsanzeige bis zur Sterbemitteilung, von der Kfz-Zulassung bis zu einem Bauantrag, von einer Gewerbeanmeldung bis zur Eheschließung - es gibt kaum einen Bereich, in dem die Klägerinnen und Kläger nicht damit konfrontiert sind, dass ihnen das Kreuz als quasi-staatliches Symbol demonstrativ vorgehalten wird."
 
Auch über die Absichten der bayerischen Staatsregierung äußert sich das VG klar und deutlich. Der mit dem "Kreuzerlass" erfolgte Zweck sei "gezielt darauf gerichtet, jeden Behördenbesucher mit dem Kreuz zu konfrontieren, müssen doch die Kreuze gut sichtbar im Eingangsbereich angebracht werden. Der Beklagte vermittelt durch seine Regelung, dass er vom Kreuz geprägt ist und führt dies zielgerichtet dem Bürger 'vor Augen'. Er legt es gezielt darauf an, dass die Bürger beim Betreten der Behörde ums Kreuz 'nicht herumkommen' (siehe Beschluss VG S. 13. Nr. 23)."
 
Insbesondere sind auch der Bund für Geistesfreiheit München und Bayern sowie deren Mitglieder vom "Kreuzerlass" betroffen, "weil das Kreuz als das zentrale Symbol der christlichen Religionsgemeinschaften den Kennzeichen und Symbolen anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften vorgezogen und in demonstrativer Weise schon im Eingangsbereich präsentiert wird. Als religionskritische Weltanschauungsgemeinschaft sehen wir uns hier nicht nur einer Ungleichbehandlung ausgesetzt, sondern auch einer Herabsetzung der eigenen Weltanschauung durch die Bevorzugung der christlichen Religion, obwohl wir als Körperschaft des öffentlichen Rechts den Religionsgemeinschaften juristisch gleichgestellt sind", sagt Tammelleo.
Das Grundgesetz hat aber durch Artikel 140 "dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität" auferlegt, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1965 feststellte. Der Kreuzerlass und die Anbringung der Kreuze im Eingangsbereich der bayerischen Behörden verletzt dieses Neutralitätsgebot aus Sicht des Bundes für Geistesfreiheit. "Denn das Kreuz ist nicht 'Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns', wie es im Kreuzerlass steht, sondern es ist ein 'religiöses Symbol des Christentums' wie das VG richtig feststellt", so Tammelleo (siehe Beschluss VG S. 12 Nr. 21).
 
Die weiteren Anträge der Klägerinnen und Kläger, den Freistaat zu verpflichten, die Kreuze zu entfernen sowie den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen Körperschaften zu empfehlen, bereits angebrachte Kreuze wieder abzunehmen, verbleiben beim VG, welches vermutlich die Entscheidung des VGH abwarten wird.
 
Tammelleo zeigt sich angesichts der Beschlüsse des VG zufrieden: "Dass das Verwaltungsgericht München inhaltlich in weiten Teilen unserer Argumentation gefolgt ist, stimmt uns alle sehr zuversichtlich. Jetzt erwarten wir, dass auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einen Verstoß gegen die Religions- und Weltanschauungsfreiheit feststellt und Ministerpräsident Markus Söder und die bayerische Staatsregierung verpflichtet, die Kreuzpflicht in Bayern wieder zurückzunehmen."
 
Der Klage des Bundes für Geistesfreiheit München und Bayern angeschlossen haben sich insgesamt 25 Personen, darunter Liedermacher Konstantin Wecker, Pfarrer Matthias Striebeck i.E., die ehemalige Landtagsvizepräsidentin Ulrike Gote, Markus Apel, Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands in Bayern (LSVD Bayern), Wolf Steinberger, Unternehmer und Kurator der Giordano-Bruno-Stiftung, Hamado Dipama vom Münchner Migrationsbeirat sowie weitere 19 Frauen und Männer, unter anderem staatliche Angestellte, Unternehmer und Kulturschaffende. Am 5. Oktober 2018 wurde die Klage vor dem VG durch die Rechtsanwälte Hubert Heinhold und Dirk Asche von der Kanzlei Wächtler und Kollegen eingereicht.

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